150 Jahre Münchner Liedkultur

Zusammengestellt von Franzsikus Büscher

Wer waren die Münchner Volkssänger? Woher kamen sie? Und wer vertritt sie heute? Die Geschichte der Münchner Liedkultur…

Wie alles Begann

München Sendlinger Tor 1857, Foto: Volk Verlag/Stadtarchiv München

München Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Stadt wächst. Boomt. Explodiert.
Zwischen 1850 und 1910 versechsfacht! sich die Einwohnerzahl: von knapp 100.000, auf knapp 600.000.[1] Münchens Außenbezirke sind diesem Druck nicht gewachsen und entwickeln sich zu Slums. In ihnen hausen auf engstem Raum die ehemaligen Bauern und Knechte, die vom Land in die Stadt gezogen sind. Das Leben der Neumünchner ist anfangs geprägt von Not und Ausgrenzung, denn Zugezogene besitzen keine Bürgerrechte und bilden dadurch eine völlig neue Schicht.[2]

Die Situation nehmen die Menschen in Kauf, denn die Stadtluft ist verheißungsvoll. Zum ersten Mal müssen sie nicht von morgens bis abends auf den Feldern ackern. Es gibt geregelte, wenn auch nach heutigem Ermessen unmenschliche Arbeitszeiten[3], und zum ersten Mal Freizeit!

Freizeit, in der die Bürger der Stadt ihr sauer verdientes Geld ausgeben können und Freizeit, über deren Gestaltung sie niemandem Rechenschaft ablegen müssen.

Die Nacht wird zum Tag

Der Münchner Bauingenieur Oskar von Miller versorgt in Zeiten der Industrialisierung das pulsierende Leben Ende des 19. Jahrhunderts erstmals mit Strom und macht somit die Nacht zum Tag: die Grundlage, um sich auch abends noch im Wirtshaus, „Panorama“[4], „Panoptikum“[5] oder einem Theater treffen zu können. Diese Entwicklung an „Freizeitangeboten“ wird durch die 1873 eingeführte Gewerbefreiheit zusätzlich befeuert. Seitdem kann jeder eine Spielstätte eröffnen – Goldene Zeiten für die Vergnügungsindustrie![6]

Bier und Lieder statt Brot und Spiele

In dieser neu gewonnen Freiheit sehnen sich die Münchnerinnen und Münchner nach Unterhaltung, nach Künstlern, die ihnen einen Spiegel vorhalten, ihnen sagen können ,wer sie sind und was sie noch sind. Diese Künstler sollten die Volkssänger sein.

Ihre Bühnen sind die Plätze und Orte, an denen um die Wende zum 20. Jahrhundert das (Nacht-)Leben hauptsächlich spielt: in Wirtshäusern und Theatern. Hier sind die Volkssänger als Alleinunterhalter und „Clowns“ gefragt, und hier werden sie gefeiert.

Die Gastwirte empfangen sie mit offenen Armen. Seit jeher sind Künstler ein Garant für volle Häuser und zur Unterhaltung der Gäste. Mit steigender Laune, schütten selbige die eine oder andere Mass Bier mehr in ihre trockenen Kehlen und machen damit vor allem die Wirte wieder „flüssig“.

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[1](Wikipedia 2018)

[2](Koll 2008, S.14 ff)

[3](vgl. Arbeitszeit 2018)

[4]um 1870 in Mode gekommene Vergnügungseinrichtung, die großflächige Bilder von Schlachten und Landschaften zeigte. Die Menschen bestaunen darin u.a. die neue Technik der Fotografie.

[5]eine Sammlung außergewöhnlicher oder seltsamer Gegenstände

[6](Rühlemann 2012, S. 390)

Die Volkssänger

Bally Prell Schönheitskönigin, Bildquelle: Valentin-Karlstadt-Musäum-München

Die Volkssänger führen kleinere Theaterstücke auf, halten Reden und singen Lieder.Ihre Melodien und Texte kommen dabei zunächst aus der damaligen Kulturmetropole schlechthin: aus Wien.

Seit dem 17. Jahrhundert gehören in der Kaiserstadt an der Donau Liederweiber, Bänkel-, sowie Moritatensänger[1] und ab der Mitte des 19. Jahrhunderts Schrammelmusikanten[2] zum Stadtbild. Ein künstlerischer Schmelztiegel, der den Brutkasten für die „Volkssänger“ bildet. Zu Beginn streifen sie als Bettelmusikanten durch die Wirtshäuser und präsentieren dort vor allem volkstümliche Inhalte.[3]

Ende des 19. Jahrhunderts kommen sie schließlich als fahrende Händler und Theatergesellschaften mit ihren Geschichten und Liedern auch vor die Tore der gut erreichbaren bayerischen Residenzstadt.

Im Gepäck haben sie ein besonderes Schmankerl[4]: das Wiener Couplet.
Dieses mehrstrophige und im Dialekt gesungene Lied mit Refrain strotzt vor Aktualität, Witz und Einfallsreichtum und wird oft in einprägsamen, volkstümlichen Melodien gesungen.[5]

Der Nerv der Zeit

Das Couplet aus der Weltmetropole Wien trifft im „Bauerndorf“ München den Nerv der Zeit. Ein ähnlicher Dialekt und ähnliche politische sowie gesellschaftliche Verhältnisse führen dazu, dass die Wiener-Lieder auch für die Münchner sofort verständlich sind. Ein Umstand, der auch dazu führt, dass die Künstler die Texte leicht umformen und anpassen können.[6]

„Wien galt zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts als die Metropole des Volkshumors und sozusagen als Hochschule der Komiker und Volkssänger. Wer darum damals in München als Volkssänger etwas erreichen und gelten wollte, mußte in Wien geboren sein oder Wenigstens so tun, als ob er es wäre, das heißt, er mußte in Mundart, Sang und Spiel den Wiener markieren. Die zu Anfang des vorigen Jahrhunderts noch wenigen Münchner Volkssänger brachten also Wiener Couplets und spielten Wiener Szenen.“[7]

Um erfolgreich zu sein, mussten sich also auch die Münchner Volkssänger zuerst einmal der Wiener-Couplet-Vorlage bedienen. Erst nach und nach sollten sie eigene Kompositionen mit in ihr Programm aufnehmen.

„Rittersleit“ und „Bajubarden“ bevölkern um 1900 die Landeshauptstadt

In München wird das Couplet zum Hit. Und mit ihm die Volkssänger. Sie sind die Popstars ihrer Zeit. Sie sind Spaßvögel, Komiker und „drastisch elastische Witzmacherg’selln“, wie es Anderl Welsch, einer ihrer Koryphäen, ausdrückt.[8]
Ihre Popularität zeigt sich auch in der stetig steigenden Zahl an Gaststätten und Bühnen, die bespielt sein wollen:

„Zunächst waren die Darbietungen noch als Ergänzung zur Gastronomie gedacht, oft fanden sie auch auf winzigen Bühnen der Wirtshäuser statt. Die Gruppen spielten für Bier und Suppe und sammelten ein paar Münzen im Publikum. Später hatten bekannte Komiker dauerhafte Engagements und wurden zum Anreiz, eine Gaststätte oder Spielhalle zu besuchen. […] In der Hochzeit um 1900 existierte(n) dann […] etwa 80 Lokale, neben ca. 1500 Gaststätten und etlichen großen Bierkellern, Singspielhallen und Varietés, in denen Münchner Komiker auftraten.“[9]

Die ungebremste Nachfrage führt im Jahr 1914 zu 800 hauptberuflich gemeldeten Volkssängern, die die Bühnen der Stadt München bespielen.[10]

Eine anerkannte Ausbildung zum Volkssänger gibt es nicht. Statt Schauspielkunst lernen die Komiker fast alle ein Handwerk. Karl Valentinwar Schreiner, Weiß Ferdl (eigentlich Ferdinand Weisheitinger) Buchdrucker[11], Anderl Welsch Maler, Liesl Karlstadt Verkäuferin[12].

Einfach. Ehrlich. Echt?

Ihr einfaches Leben macht die Volkssänger erfolgreich. Es steht sinnbildlich für so viele Münchner Schicksale in dieser Zeit.

In ihren Liedern besingen sie dann auch meist derb und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen das alltägliche Leben in der Großstadt, so auch der Weiß Ferdl mit seinem berühmten „Wagen von der Linie 8“.

Weißferdl Ein Wagen von der Linie 8

Der Weiß Ferdlparodiert in diesem Stück den Alltag eines Schaffners in den Münchner Straßenbahnen. Seine Figur steht sinnbildlich für so viele Charaktere, die die Volkssänger im Scheinwerferlicht erschaffen. Sie sind Abbilder des Publikums, Abbilder des einfachen Mannes zwischen einfältigem Bauern und dem oft schicksalsergebenen Hilfsarbeiter auf der Baustelle, wie die Bühnencharaktere Kare und Luke[13].

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[1]Liederweiber: Straßenverkäuferinnen in Wien, die Nachrichten in Liedform verbreiten

Bänkelsänger: auf einer Bank „Bänkel“ stehende Liedersänger und Gaukler
Moritatensänger: Bänkelsänger, die über Mordtaten „Moritaten“ singen

[2]Wiener Volksmusiker, die hauptsächlich in Wirtshäusern auftraten, vgl. (Riedel 1963, S. 16 ff.)

[3]s.a. Zitat Rühlemann in Von „Ritterlsleit“ und „Bajubarden“ S. xxx

[4]Delikatesse, spezielle Neuheit

[5](Rühlemann 2012, S.292)

[6](vgl. Laturell 1997, S. 293)

[7](Lutz 19, 12)

[8](Koll 2008, S. 21)

[9](Rühlemann 2012, S. 190)

[10](Seefelder 1985)

[11](Sünwoldt, 1983)

[12](Koll 2008, S.21)

[13]Zwei bekannte Bühnen- und Witzfiguren im 20. Jahrhundert

Volkskultur im Wandel

Mit dem zunehmenden Wohlstand der Bürger verändert sich ihre Lebenswirklichkeit. Diesen Wandel können die Volkssänger nicht mehr abbilden. Das neue Lichtspieltheater rückt an ihre Stelle. Dennoch halten die Volkssänger weiter an dem prekären Lebensbild ihrer Figuren fest. Dadurch verkommen sie in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre mehr und mehr zu einer Randerscheinung.[1]Karl Valentin, Liesl Karlstatt und Weiß Ferdl nähern sich in den folgenden Kriegsjahren dem kunstvollen Ende ihrer Zunft.

Die Münchner feiern in Jeans statt in Lederhose

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verändert die Amerikanisierung und Globalisierung das Publikum in der bayerischen Metropole weiter: Heimatverbundenheit ist verpönt, Amerikanisches ist jetzt „in“. Der Jazz kommt auf, der Rock’n’Roll erobert die Tanzflächen, Bars und Pubs entstehen. Die amerikanischen GI’s[2] sorgen für einen kulturellen Aufbruch.[3]

Heimische Künstler, also Volkssänger, wie die in München-Schwabing geborene Bally Prell, alias Agnes Pauline Prell, halten ein Nischenpublikum unter anderem als „Schönheitskönigin von Schneizlreuth“und mit dem von ihrem Vater komponierten „Isarmärchen“ bei Laune, ein Fredl Fesl steuert 1976  ein „Taxilied“ zum Münchner Liedgedächtnis bei.

Fredl Fesl - Taxi-Lied 2001

„Mia san mia“ und „Dahoam is Dahoam“

In den letzten Jahren 15 bis 20 Jahren erfährt das Volkstümliche, Heimatverbundene auch in der Münchner Musikszene wieder einen breiteren Aufschwung: auf der einen Seite in „unerhörten“ neuen Kombinationen, wie im Rahmen des Musikantentreffs „Z’am Rocken“[4] im Hofbräuhaus, und auf der anderen Seite in traditionellen Aufführungen, die sich im Festsaal des Hofbräuhauses als „Brettl-Spitzen – eine Volkssängerrevue“[5] bestaunen lassen.

Die Stückeschreiber

Verwandt mit der Generation der Volkssänger sind heute auch die Münchner Liedermacher[6]um Fredl Fesl, Konstantin Wecker, Willy Astor und im weitesten Sinne auch Willi Michl.

Wie aber schon am Wort „Liedermacher“ deutlich wird, sehen sich diese Musiker nicht als „Volkssänger“. Ihre Texte sind viel politischer und beschreiben weniger den Alltag der Menschen als gesellschaftliche Zustände.

Außerdem ist ihre Musik nicht auf den maximalen kommerziellen Erfolg ausgelegt. Eine Münchner Form des „Mainstreams“ finden Rocker und Hip-Hopper.

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[1](Koll 2008, S.43)

[2]Soldaten

[3](Nothaft 2014)

[4]Initiative der Harfenistin Franziska Eimer. Sie bringt Musiker unterschiedlicher Kulturen zusammen, um mit ihnen Volksmusik zu machen

[5]Initiative von Jürgen Kirner, um die Volkssängertradition wieder zu beleben

[6]Deutschsprachiges Äquivalent für den amerikanischen Begriff Singer/Songwriter mit ungekünsteltem Vortragsstil (vgl. Wicke 2016)

Die Popkultur

Den Platz der Volkssänger nehmen nach dem Zweiten Weltkrieg immer öfter Künstler ein, die vom amerikanischen „way of life“ inspiriert sind.

Sommer und Singer-Songwriter in der Stadt

In der amerikanisch inspirierten Klangwolke der Nachkriegszeit gründet sich 1977 eine vierköpfige Band. Sie nennt sich Spider Murphy Gang, frei nach einem Gangster aus Elvis Presleys Song „Jailhouse Rock“.

Die ersten Jahre spielt die Gruppe relativ erfolglos englische Rock’n’Roll-Cover. Auch ihre selbst produzierten Demosongs sind alles andere als ein Verkaufsschlager. Ein erster Erfolg ist der Aufstieg zur Hausband im Schwabinger Club Memoland. Aus drei Gigs[1] und einer Gage von 800 Mark wird ein regelmäßiges Engagement vor ausverkauftem Haus am Sonntagabend. Und ab da geht es für die Münchner steil bergauf. 1979 wird der Bayerische Rundfunk auf sie aufmerksam und engagiert sie für die Sendereihe Aus meiner Rocktasche[2].

Diese bietet den Künstlern eine der wenigen großen Bühnen, um auf sich aufmerksam zu machen. Neben den Spiders fördert sie Künstler wie Konstantin Wecker und Willy MichlAber auch die Biermösl Blosn und ein gewisser Gerhard Polt stehen hier im Rampenlicht. Die „Münchner Stadtrocker“nützen diese Chance und schreiben für die Sendung ihren ersten Song im Dialekt „Mir san a Bayerische Band“[3].
Eine gute Idee.

Skandal im Sperrbezirk – und keiner bekommt ihn mit

Die Spider Murphy Gang ist Anfang der 80er Jahre dabei ihren größten Hit zu schreiben. Sie ist gerade auf dem Weg zu einem Gig, als das Lied „Skandal um Rosi“ von Erik Silvester im Autoradio läuft.

Erik Silvester - Skandal um Rosi

Das Lied lässt Günther Sigl nicht mehr los. Zu Hause greift er zur Gitarre, denn auch in München liegt der Skandal schon längst in der Luft.[4] Prostituierte und Zuhälter prägen nachts das Straßenbild.

Ein Zustand, den das Münchner Kreisverwaltungsreferat so nicht länger hinnehmen will. Sein Leiter Peter Gauweiler spricht davon, den scharfen Sex[5] aus der Alpenmetropole verbannen zu wollen. Auch um das Hofbräuhaus, eines von mehreren Rotlichtzentren, wird deswegen aufgeräumt. 1981 fasst die Spider Murphy Gang diese Stimmung in ihrem Song „Skandal im Sperrbezirk“zusammen.

Das Lied über das Schicksal einer „Dame aus dem peitschenden Gewerbe“[6] ist für viele zu dieser Zeit so anzüglich, dass es die Radiostationen nicht spielen wollen. Rosi droht ein Karriereknick, ein staubiges Schicksaal als Ladenhüterin im Plattenladen.

Schnell wird zusätzlich die Single „Schickeria“ auf den Markt geworfen, die die Münchner Bussi-Bussi-Gesellschaft auf den Arm nimmt. Der Song funktioniert, ist sofort ein Hit und plötzlich reißen sich auch alle um den „Skandal im Sperrbezirk“. Nachträglich schießt er am 8. Februar 1982 auf Platz 1 der Deutschen Charts.

Die Volksrocker

Die Spiderssingen Lieder über München. Auf Bayrisch. Mit Erfolg.
1984 füllen sie erstmals die Olympiahalle und erreichen mit ihrer Popularität das, was zuletzt die Volkssänger von einst in der Stadt am Isarstrand geschafft haben. Mit ihren Liedern entsteht zudem ein neues Gesellschaftsbild. Der Münchner ist wieder wer.[7] Und das nach den Kriegsdepressionen und dem schalen Nachgeschmack eines Heimatbildes, das von den Nazis jahrzehntelang geschunden wurde.

Nach den „Schwabinger Krawallen“ und der 68er-Bewegung wird öffentliche Kritik am System durch alle Schichten akzeptiert. Und endlich entdeckt man auch in der bayerischen Metropole die Fähigkeit über sich selbst zu lachen. Da verwundert es nicht, dass der Bayerische Rundfunk 1982 die erste Salvatorrede am Nockherberg überträgt[8] und 1987 die Fastnachtssitzung aus Franken im Bayerischen Fernsehen debütiert[9].

Die Welle des Erfolgs

Die Spider Murphy Gang ist Teil der „Neuen Deutschen Welle[10]“ (NDW). Lieder in deutscher Sprache sind in der gesamten Bundesrepublik in den 80er Jahren wieder „in“.

Damit können sich auch im Anschluss deutsch singende Musiker leichter kommerziell etablieren[11], wiedie in den 90er Jahren im Münchner Vorort Germering gegründete Indie-Rockband Sportfreunde Stilleroder die im Münchner Großraum gegründeten Brassformationen LaBrassBanda (ggr. 2007) und Moop Mama (ggr. 2009). Letztere schaffen es, in Zeiten einer immer größer werdenden „Heimatsehnsucht“ ihre Lieder mit der Kultur der heimischen Blasmusik zu verbinden; so die Münchner Citybläser Moop Mama in dem Song „Stadt die immer schläft“.

Moop Mama - Stadt die immer schläft (official video)

Rosie ist „in“

Die Spider Murphy Ganghat inzwischen Kultstatus erreicht. Sogar die legendäre US-Rockband Metallica covert im April 2018 ihren „Skandal im Sperrbezirk“.

Rob & Kirk's Doodle: Skandal im Sperrbezirk (Munich, Germany - April 26, 2018)

Und inzwischen gibt es sogar ein Spider Murphy Musical, das am Landestheater Coburg im Juni 2018 uraufgeführt wird.[12] Die Faszination Spider Murphy Gang ist in ganz Deutschland ungebrochen. Und doch sind die Lieder der Band inzwischen über 30 Jahre alt. Heute braucht es wieder neue Künstler, die das Leben in einer zeitgemäßen Tonsprache verpacken: das könnten die Hip-Hopper sein.

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[1]Umgangssprachlicher Ausdruck für einen bezahlten Musikauftritt

[2]Sendung von Georg Kostya mit Rock’n Roll, Boogie und Blues, ausgestrahlt jeden ersten Sonntag im Monat im Zündfunk auf Bayern3. Für die Liveversion mit Bands schrieben die Spiders die Titelmelodie, den „Rockhouse-Song“ (vgl. Stürenburg 2001, S. 195).

[3](Gang 2011)

[4](Gernandt 2017)

[5](YPA 2012)

[6]ebd.

[7](Ude 2017, S. 18 ff.)

[8](Das Starkbierfest auf dem Nockherberg 2017)

[9](Fastnacht in Franken 2018)

[10]Um 1980 einsetzender Musikstil, dem Punk nahe. Hauptmerkmal sind deutsche Texte(vgl. Geiger 2017)

[11](Wikipedia 2018)

[12](Coburg 2018)

Die "Volksrapper"

Die Musikszene ist heute so vielfältig wie noch nie zuvor und spiegelt damit auch den immer individueller werdenden Musikgeschmack der Gesellschaft wieder. Ein Musikgeschmack, der nur noch schwer von einer Gruppe, wie z.B. den Volkssängern um 1900 herum, bedient werden könnte. Das Bedürfnis der Menschen, ihre Lebenswirklichkeit auch in Liedern wiederzufinden, ist aber geblieben. Die Musiker, die das wohl am einfachsten abbilden können sind Hip-Hopper[1] bzw. Rapper[2]. Sie bringen die idealen Voraussetzungen für eine neue Generation von „Volkssängen“ mit. Ihre Lieder sind keine romantisch verklärten Balladen, sondern spiegeln, ähnlich den Liedern im 19. und 20. Jahrhundert, den ungeschönten Alltag der Bevölkerung wider.

Den „Rapsongs“ liegt ein Sprechgesang zugrunde. In den 1980er Jahren wird der von den Münchner Musikern noch auf Englisch getextet, erst in den 90ern auch auf Deutsch.

Damit sind die Lieder für jeden verständlich und spiegeln die Lebensrealität der Zuhörer direkt wider. Das macht diese Musikrichtung auch in München immer erfolgreicher.

Hip-Hop in Minga

„Als die Single ,Rapper’s Delight im Januar 1979 erscheint, katapultierte sie Hip-Hop, die Straßenkultur der ausgegrenzten Schwarzen, mit einem Schlag ins Scheinwerferlicht: Rapper’s Delight wird die erste Rap-Single in den US-Charts, die erste Hip-Hop-Platte, die Gold einspielt.“[3]

So hält es der Spiegel im Jahr 2011 rückschauend fest.

Und was in Amerika so erfolgreich ist wird kurze Zeit später auch in München populär. Als eine der ersten Formationen gründet sich 1990 Main Conceptin der Alpenvorstadt. 1994 erscheint ihr erster Song über München „Münchenz Diktatur“.

Main Concept - Münchenz Diktatur

Seit zwei Jahren rappen in diesem Moment auch die Töpfe (eig. Blumentopf) in der kleinen Glockenbachwerkstatt im Münchner Stadtzentrum. Sie sind Teil einer Bewegung, die sich mit deutschen Texten langsam aber sicher ihren Weg in die breite Öffentlichkeit bahnt.

Auf Deutsch „singen“ in Hamburg Mitte der 90er Jahre bereits Beginner und Fettes Brot, in Stuttgart FreundeskreisMassive Töne und die Fantastischen Vier. Diese Bewegung verleiht auch den Künstlern aus München Auftrieb. Spätestens mit der Veröffentlichung der Single „Die Da?!“ 1992 von den Fantastischen Vier erreicht der deutsche Rap den Mainstream der Bevölkerung. Mit dem Song landet erstmals eine deutsche Hip-Hop-Nummer auf Platz 2 in den Charts. Und erstmals kann man mit dieser Musikrichtung auch richtig Geld machen. Der Berliner Rapper Fler berichtet im Dezember 2015 von Umsätzen bis zu 800.000 € im Jahr.[4]

Aus der Szene zum Mainstream?

Ralf Binder ist seit 1993 in der Münchner Muffathalle aktiv, sie ist eine der „Hip-Hop-Hotspots“ in der Stadt. Der DJ koordiniert heute die Bookinganfragen und stellt eine seit Jahren langsam aber stetig steigende Anzahl von Hip-Hop-Konzerten in seiner Location fest:

„1998 hatten wir 12 Hip Hop Konzerte, 2008 waren es 14 und 2017 waren es 23.“

Auch Hans-Georg Stocker, der Besitzer des Backstage, äußert sich in der tz im Dezember 2016 positiv über die Szene: „Als ich vor zwanzig Jahren den ersten Auftritt von Rappern im Backstage organisiert habe, wollten ein paar Mitarbeiter deshalb kündigen“[5], heute sei die Akzeptanz dagegen groß.

Ralf Bindersieht die Szene immer stärker in der Stadt verwurzelt:

„Die Musikrichtung Hip Hop war meiner Meinung nach noch nie so präsent wie heute – ob man noch von einer Subkultur oder Szene sprechen kann, würde ich zumindest in Frage stellen.“

Eine Entwicklung, die man auch beim Hip Hop & Reggaeton Open Air an der Isar feststellen kann. Seit 2001 gibt es das Festival. Dieses Jahr werden bis zu 3.000 Besucher auf der Praterinsel erwartet. Hip-Hop und Rap sind 2018 also auch im Mainstream der Stadt angekommen.

Zuletzt können im Jahr 2016 Moop Mama, eine Hip-Hop-Blasmusikgruppe, auch national auf sich aufmerksam machen. Das zeigte sich auch in der Muffathalle. Im Dezember 2016 spielen sie zwei Mal vor ausverkauftem Haus, mit insgesamt knapp 2.500 Besuchern.[6] Eine Entwicklung, die Ralf Binder noch vor zwei Jahren nicht für möglich gehalten hat.[7]

Der Pressesprecher des größten europäischen Kartenanbieters und Veranstalters Eventim, Christian Steinhof, berichtet zudem:

„dass sich HipHop-Veranstaltungen seit Jahren großer – und weiterhin steigender – Popularität erfreuen. Wir verzeichnen in diesem Genre seit zehn Jahren durchgehend zweistellige Wachstumsraten. Der aktuelle Trend deutet darauf hin, dass diese Entwicklung anhält.“

Hip-Hopper und Rapper scheinen also das Potential zu besitzen, mit ihrer Musik zu den „neuen“ Volkssängern in München zu werden.

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[1]Bezeichnung einer Jugendkultur. „Sie ging Mitte der 1970er Jahre in dem New Yorker Stadtteil Bronx aus den von den Bewohnern in nachbarschaftlicher Selbsthilfe organisierten Alternativen zu den damals bürgerkriegsähnliche Züge annehmenden Auseinandersetzungen rivalisierender Jugendgangs hervor. Der Verwahrlosung Jugendlicher durch sinnvolle Freizeitangebote zu begegnen, um den Jugendbanden den Boden zu entziehen und ihnen zugleich andere Formen der Auseinandersetzung und des Kräftemessens anzubieten, war eines der wesentlichen Motive für das Aufkommen mobiler Diskotheken. Diese veranstalteten auf Straßen, Plätzen und Hinterhöfen regelmäßig Nachbarschaftsparties. In diesem Zusammenhang bildete sich ein akrobatischer Tanzstil heraus, der die Rivalitäten zwischen den straßenzugweise organisierten Jugendgangs in einen Wettkampf der Tanzakrobaten verwandelte. Von diesem Tanzstil leitet sich auch die Bezeichnung Hip-Hop (wörtlich »Hüftsprung«) ab.“
(Wicke, MGG- online, Art. Rapgeschichte 2016)

[2]„Abgeleitet von dem amerikanischen Slangausdruck to rap (= ›quasseln‹) bezeichnet der Begriff einen Ende der 1970er Jahre im Kontext der urbanen Jugendkulturen ethnischer Minderheiten in den USA (AfroAmerikaner, Puertorikaner, Jamaikaner) aufgekommenen Musikstil, der im Sommer 1979 in der Diskoszene New Yorks fast schlagartig Furore machte und sich anschließend nahezu global verbreitete.“(Wicke, MGG- online, Art. Rapgeschichte 2016)

[3](Kringiel 2011)

[4](Spit-TV 2017)

[5](Mayr 2016)

[6](Wagner 2016)

[7](Wagner, Süddeutsche Zeitung 2016)

Teil 1: Das Isarmärchen

„Wer kennt sie nicht, die schöne Stadt, die jeder tief im Herzen hat, jeder, der sie einmal geseh’n,“ so textet es Mitte des 20. Jahrhunderts Bally Prells Vater auf ihre Lippen. Inzwischen hat diese „heimliche Hymne“ Münchens eine Japanerin für sich entdeckt: Nami von Coconami.

Mehr über das Isarmärchen